Grundsatzurteil des BFH zur umsatzsteuerlichen Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen

Grundsatzurteil des BFH zur umsatzsteuerlichen Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen

1. Neues Urteil des BFH

Der BFH hat mit seinem Urteil vom 20.10.2016 V R 26/15 (entgegen der ständigen Verwaltungspraxis und unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung) entschieden, dass die Berichtigung einer Rechnung aus umsatzsteuerlicher Sicht auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsausstellung zurückwirkt. Auf Grundlage des Urteils des EuGH vom 15.09.2016 C-518/14 hat der BFH den Vorsteuerabzug aus einer korrigierten Rechnung nicht erst (wie bisher) im Besteuerungszeitraum der Berichtigung zugelassen, sondern ermöglicht die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Ausstellung der ursprünglichen Rechnung.

2. Zum Sachverhalt

Für die Streitjahre 2005 bis 2007 hatte das klagende Dentallabor aus Rechnungen eines Rechtsanwalts und einer Unternehmensberatung den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen. Nach einer Betriebsprüfung hatte das Finanzamt den Vorsteuerabzug korrigiert, da in den entsprechenden Rechnungen die Art der erbrachten Leistungen nicht hinreichend genau beschrieben war. Die Rechnungen des Rechtsanwalts enthielten lediglich den Hinweis, „das vereinbarte Beraterhonorar wie folgt zu berechnen“. Die Rechnungen der Unternehmensberatung enthielten den Satz „für allgemeine wirtschaftliche Beratung im (Zeitraum) berechnen wir Ihnen pauschal wie vereinbart…“.

Erst im Rahmen des Klageverfahrens legte das Dentallabor dem Finanzgericht Rechnungen mit einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung vor. Das Finanzgericht ließ eine rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht zu und wies die Klage ab. Der BFH hat das Urteil des Finanzgerichts aufgehoben.

3. Wesentliche Entscheidungsgründe des BFH

Ausgangspunkt der neuen Rechtsprechung des BFH ist das Urteil des EuGH vom 15.09.2016 C-518/14. Darin hat der EuGH in der Rechtssache Sematex GmbH entschieden, dass die Bestimmungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe keine Rückwirkung zukommt.

Da die Vorschriften des nationalen Umsatzsteuerrechts richtlinienkonform ausgelegt werden müssen, wendet der BFH die Aussagen des EuGH auf die im vorliegenden Fall relevanten Normen von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG (hinsichtlich des Vorsteuerabzugs) und § 31 Abs. 5 UStDV (wegen der Berichtigung von Rechnungen) an.

Der BFH stellt zunächst fest, dass die an die Klägerin gestellten Rechnungen des Rechtsanwalts und der Unternehmensberatung berichtigungsfähig waren. Voraussetzung dafür ist, dass Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer vorliegen müssen. Im Urteilsfall sind die Angaben zur Leistungsbeschreibung zwar ungenau gewesen, aber nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder unzutreffend, dass dies dem vollständigen Fehlen von Angaben gleichzusetzen ist. Infolgedessen ist eine Berichtigung der Rechnungen möglich, die auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsausstellung zurückwirkt, hier also auf die Streitjahre 2005 bis 2007.

Da § 31 Abs. 5 UStDV keine zeitliche Grenze für die Berichtigung einer Rechnung vorsieht, greift der BFH hierfür auf die allgemeinen Grundsätze zurück. Diese erlauben eine Berichtigung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht.

4. Schlussfolgerungen für die Praxis

Das neue Grundsatzurteil des BFH ist für Unternehmen und Unternehmer von großer praktischer Bedeutung. Es gibt die bisherige umsatzsteuerliche Rechtsprechung zu der Frage der Rückwirkung einer Berichtigung auf und widerspricht der in Abschnitt 15.2a Abs. 7 UStAE niedergelegten Verwaltungsauffassung.

Wie der Fall des Dentallabors zeigt, nehmen Unternehmen häufig sofort den Vorsteuerabzug aus bezogenen Leistungen in Anspruch, selbst wenn formale Rechnungsmängel vorliegen. Korrekturen, etwa durch eine Betriebsprüfung, führten bislang dazu, dass bei einer späteren Rechnungsberichtigung Steuernachzahlungen für das Jahr des ursprünglichen Vorsteuerabzugs zu leisten waren. Diese Nachzahlungen waren darüber hinaus mit 6 % p. a. zu verzinsen. Die „Richtigkeit“ einer Rechnung ist – schon wegen dieser fiskalen Folgen bisher – daher regemäßiger Prüfungsschwerpunkt der steuerlichen Außenprüfung.

Die enge Verzahnung des europäischen und nationalen Rechts im Bereich der Umsatzsteuer sowie die zahlreichen hierzu bestehenden Verwaltungsanweisungen (alleine der UStAE umfasst mehr als 800 Seiten) verdeutlichen, dass Unternehmen und Unternehmer in diesem Bereich überaus sorgfältig agieren müssen, um finanzielle Schäden von sich fernzuhalten. Wir unterstützen Sie gerne dabei.

Frankfurt am Main, den 04.01.2017 – SVO / JHB