Neue Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Neue Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft

Der EuGH hat in der jüngsten Vergangenheit – auch aufgrund von Vorlagebeschlüssen des BFH – mehrmals zu den Voraussetzungen einer umsatzsteuerlicher Organschaft Stellung genommen. Diese Entscheidungen hatten und haben weitreichende Auswirkungen auch für die deutsche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.

Ausgangspunkt der Entscheidungen des EuGH war der Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL (vormals Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2, 3 Sechste RL 77/388/EWG). Danach kann jeder Mitgliedstaat Personen, die durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

Der deutsche Begriff der Organschaft ist demgegenüber viel enger. Zum einen kann nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Organgesellschaft nur eine juristische Person sein. Zum anderen fordert der BFH aufgrund des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals „eingegliedert“ nicht – wie die MwStSystRL – lediglich eine enge Verbundenheit, sondern ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft.

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 09.04.2013 (Kommission gegen Irland – Az. C-85/11) hierzu ausgeführt, dass Mitgliedstaaten, die eine Organschaft in ihrem nationalen Recht vorsehen, diese nicht von weitergehenden Voraussetzungen abhängig machen dürfen, als das Unionsrecht dies vorsehe. In seinem Urteil vom 16.07.2015 in der verbundenen Rechtssache Beteiligungsgesellschaft Larentia + Minerva mbH & Co. KG gegen Finanzamt Nordenham (Az. C-108/14) und Finanzamt Hamburg-Mitte gegen Marenave Schiffahrts AG (Az. C-109/14) konkretisiert der EuGH seine Aussage dahingehend, dass die Mitgliedstaaten insbesondere nicht verlangen können, dass ausschließlich juristische Personen Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe sein dürfen oder dass ein Über-/Unterordnungsverhältnis der Organgesellschaften zum Organträger bestehen müsse. Der Ausschluss von bestimmten Personen sei nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn er der Verhinderung missbräuchlicher Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung diene.

Unter Berufung auf die vorgenannten Urteile des EuGH hat der BFH in seinen Urteilen vom 02.12.2015 (Az. V R 25/13) und vom 19.01.2016 (Az. XI R 38/12) entschieden, dass entgegen des Wortlauts des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auch eine Personengesellschaft als Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein kann. In den beiden Urteilen war die Organträgerin eine Aktiengesellschaft, die als Mehrheitskommanditistin und über eine 100 %-Tochter-GmbH auch als Komplementärin Leistungen an weitere Tochtergesellschaften in der Form der GmbH & Co. KG als Organgesellschaften erbrachte. Die beiden BFH-Urteile weichen zwar nicht im Ergebnis, jedoch in der Begründung voneinander ab.

Der XI. Senat hält den generellen Ausschluss von Personengesellschaften für unionsrechtswidrig und lässt die Eingliederung von Personengesellschaften als Organgesellschaften in eine umsatzsteuerliche Organschaft zu.

Der V. Senat geht dagegen davon aus, dass die Beschränkung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf die Eingliederung juristischer Personen wegen des bei Personengesellschaften grundsätzlich bestehenden Einstimmigkeitsprinzips sachlich gerechtfertigt sei. Bei Personengesellschaften könne wegen der Formfreiheit der Gesellschaftsverträge bzw. mangels einer Registrierungspflicht die Person des Steuerschuldners nicht einfach und rechtssicher bestimmen werden. Eine Erweiterung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei ausnahmsweise bei den Personengesellschaften möglich, bei denen Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen seien, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert seien, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet sei.

Der BFH hält auch nach den EuGH-Urteilen daran fest, dass der Organträger bereits vor dem Entstehen einer Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unternehmerisch tätig sein muss.

So hat der BFH in seinen Urteilen vom 02.12.2015 (Az. V R 67/14) für eine nicht unternehmerisch tätige juristische Person des öffentlichen Rechts und vom 03.12.2015 (Az. V R 36/13) für eine nicht unternehmerisch tätige GbR klargestellt, dass die Einbeziehung eines Nichtunternehmers in den Organkreis nicht in Betracht kommt. Dies sei zwar nicht durch das Unionsrecht (also die MwStSystRL) so bestimmt. Das Erfordernis der Unternehmereigenschaft des Organträgers sei aber im nationalen Kontext zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und Verhaltensweisen erforderlich und geeignet. Die Beschränkung der Organschaft auf Unternehmer bewirke, dass die Organschaft nicht entgegen ihrem Vereinfachungszweck als reines steuerliches Gestaltungsinstrument zur Vermeidung nichtabziehbarer Vorsteuerbeträge in Anspruch genommen werden könne.

Auch hält der BFH in seinem Urteil vom 02.12.2015 (Az. V R 15/14) entgegen der Entscheidung des EuGH an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine lediglich enge finanzielle Verbindung zwischen mehreren Person für die Entstehung einer umsatzsteuerlichen Organschaft nicht ausreichend ist. Die finanzielle Eingliederung erfordere eine eigene unmittelbare oder mittelbare – d.h. eine über eine Tochtergesellschaft gehaltene – Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft. Eine über einen außerhalb der Satzung vereinbarten Stimmbindungsvertrag bestehende Anteilsmehrheit der Gesellschafter sei hierfür nicht ausreichend.

Die praktischen Konsequenzen der Einbeziehung von bestimmten Personengesellschaften in eine umsatzsteuerliche Organschaft sind erheblich. Dies gilt insbesondere aufgrund der Antragsunabhängigkeit der umsatzsteuerlichen Organschaft im deutschen Steuerrecht und der damit ggf. einhergehenden Rückwirkung. Wir prüfen für Sie gerne, ob unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des BFH in Ihrem Unternehmen bisher unerkannte Organschaftsverhältnisse existieren und welche Folgen sich bejahendenfalls für die Abwicklung der Umsatzsteuer daraus ergeben.

MKO / SVO / JHB – Frankfurt, den 06.04.2016